Die Geschichte des 3. Reiches ist voller skurriler und dubioser Figuren, die Geschichte geschrieben haben oder beinahe hätten. Meist denkt man, nach ihnen befragt, an die eher "großen" Gestalten - den "Führer" und seine Paladine in etwa oder berühmte Erfinder, Forscher, General usw..... Eher am Schluss der Gedankenkette kommen dann die Leute, die im Dunkel der Geschichte agierten und mitunter wieder in der Dunkelheit verschwanden. Die Männer im Geheimdienst, lapidar und gemeinhin als Spione/Agenten oder Schlapphüte bezeichnet.
Einer dieser Männer war Paul Fidrmuc (ausgesprochen: Fiedermutz). Nach Graham Greenes Biografen Norman Sherry war Fidrmuc das Vorbild für die literarische Figur James Wormold im Roman „Unser Mann in Havanna“. Graham Greenes war von 1942 bis 1943 in einer Sondermission des britischen Auslandsgeheimdienstes für das Außenministerium in Westafrika tätig.
Wer war dieser außerhalb von Fachkreisen kaum bekannte Paul Fidrmuc (* 28. Juni 1898 in Jägerndorf; † 20. Oktober 1958 in Barcelona)? Er war ein deutscher Meisterspion, zumindest hielten ihn viele dafür, für einen Meisterspion. Er trug den Decknamen "Ostro".
Paul Fidrmuc wurde in der k. u. k. Monarchie in dem kleinen 10.000 Einwohner zählenden südmährischen Städtchen Lundenburg(heute Breclav), 70 Km nördlich von Wien geboren.
Sein Vater war Notar und somit gehörte er der oberen Gesellschaftsschicht an.
Am Ende des Ersten Weltkriegs geriet er als österreichischer Reserveoffizier in italienische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach wenigen Tagen flüchtete. In seine nun tschechischen Heimat zurück gekehrt, beteiligte er sich, an das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Deutschen) glaubend, am deutschen Widerstand, wurde verhaftet und, wie er später nicht ohne Stolz verkündete, zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, aus der er aber ebenfalls bald flüchten konnte.
Fidrmuc begann 1920 in Wien ein Studium der Philologie, das er aber nicht beenden konnte, als seine Familie durch die Inflation in Österreich ihr Vermögen verlor. Danach ging Fidrmuc nach Lübeck und betätigte sich im Metallexport-Sektor.
Fidrmuc trat dem Lübecker Ruder-Klub bei und wurde 1922 in Trier bei den Deutschen Meisterschaften mit dem Ruder-Achter Deutscher Meister. Ein Jahr später wurde er dritter im Vierer ohne. Mitte der 1920-Jahre wurde Fidrmuc auch journalistisch tätig und schrieb u.a. für britische und amerikanische Fachblätter, wie den britischen "The Ironmonger" oder dem amerikanischen "Iron Age". Er beherrschte sechs Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch und Dänisch. 1923 heiratete er eine blonde lebenslustige Dänin namens Rigmor.
Bereits 1933 , dem Jahr der "Machtergreifung", gab es erste Kontakte zu deutschen Abwehr. 1935 wurde Fidrmuc von der Gestapo unter dem Verdacht verhaftet, er sei tschechischer Agent oder gar Doppelagent, weil er ja Kontakte zur deutschen Abwehr hatte. Er saß einen Monat in Untersuchungshaft. Etwa seit dieser Zeit wurde Fidrmuc auch der britische Geheimdienst auf ihn aufmerksam, weil er sich Bücher und Karten über England aus England bestellt hatte.
Im Mai 1939 wurde Fidrmuc Mitglied der NSDAP. Paul Fidrmuc war Anhänger des Nationalsozialismus und glaubte an Hitler. Allerdings war er kein fanatischer Nazi oder Hitlerverehrer. Die Konzentrationslager bezeichnete er in seinen Erinnerungen lediglich als "Verfahrensfehler" - "Schließlich sind wir ja Deutsche und keine Barbaren" meinte er dazu. Den Holocaust sparte er in seinen Erinnerungen beharrlich aus.
Nach eigenen Angaben war er vor dem Anschluss Österreichs in Wien tätig, versorgte Canaris vor dem Überfall auf Polen mit den Aufmarschplänen des polnischen Generalstabs und beschaffte vor der Besetzung des Balkans die Produktionspläne der Ölraffinerien von Ploiesti.
Vor der Besetzung Dänemarks ging Fidrmuc mit seiner dänischen Ehefrau nach Kopenhagen. Hier wurden beide im November 1939 verhaftet, kamen jedoch im Austausch mit skandinavischen Spionen wieder frei.
Ab 1940 sollte Fidrmuc die Westmächte Endland und die USA ausspionieren. Dazu ging Fidrmuc mit seiner Ehefrau Rigmor nach Lissabon um dort einen Spionagering („Ostro-Ring“) aufzubauen. Lissabon war seinerzeit ein Tummelplatz von Menschen aus aller herren Länder, aller politischen und relegiösen Bekenntnissen und natürlich von Agenten und Doppelagenten aller Länder. Das einzig noch offene Aus- und Einfallstor des besetzten Europas. Ein Handelsplatz von Neuigkeiten aus aller Welt....
Als es den Briten nicht gelang Fidrmuc "umzudrehen" und ihn als Doppelagent zu werben, beschlossen sie ihn mit falschen Nachrichten zu versorgen, auch um ihn bei seinen Vorgesetzten in Mißkredit zu bringen.
Bei seiner Arbeit als deutscher Spion lernte er auch zwei später berühmt gewordene britische Agenten kennen, Jebsen alias Artist und Popov. Man verkehrte in den gesellschaftlich gleichen Kreisen und vertrieb dort unter dem Mantel absoluter Verschwiegenheit, die neuesten Gerüchte, die von Fidrmuc begierig aufgesogen und per Kurier nach Berlin übermittelt wurden.
Jebsen wurde später von den Deutschen aus Portugal entführt und 1944 vermutlich von der Gestapo ermordet. Popov hingegen starb friedlich und hoch angesehen in Südfrankreich. Eigentlich aber war er unsterblich, denn sein Leben diente dem Schriftsteller Ian Fleming als Vorbild für James Bond.
Neben den falschen Nachrichten, erfand er einfach selber welche oder schmückte andere, die ihn zu "mager" erschienen, einfach etwas aus. Auch sein "Ostroring" existierte nur in seiner Phantasie und auf den Rechnungen, die er nach Deutschland schickte um abzukassieren. Dabei ging er sogar soweit im April 1945, Geld im Voraus zu verlangen, weil sich das baldige Ende des 3. Reiches schon abzeichnete
Eigentlich war Fidrmuc ein Hochstapler. Zwar kein überzeugter Nazi aber seinen Auftragsgebern und Groß- Deutschland (wie er in seinen Erinnerungen betonte) treu ergeben. Dennoch wurde er von den Briten als höchst gefährlich eingestuft. Oft lag Fidrmuc mit seinen eigentlich erfundenen Berichten dicht bei der Wahrheit oder sagte sogar Ereignisse von denen er nichts wußte richtig voraus. Walter Schellenberg, deutscher Geheimdienstchef bezeichnete Fidrmuc nach dem Krieg als "...besten Agenten für militärische Aufklärung in Portugal." Fidrmuc sollte entführt oder eliminiert werden, was aber bis Kriegsende nicht gelang.
Die Briten analysierten Fidrmuc' "Arbeit nach dem Krieg und kamen zu folgenden Ergebnis: "Mit Ausnahme einer winzigen Prozentzahl sind diese (seine Berichte) aber nicht nur falsch, sondern sie sind es auf eine phantastische Art."
Zu dieser "winzigen Prozentzahl" gehörte sein größter Coup mit der Meldung vom 3. Juni 1944, also drei Tage VOR der Invasion:„Der Plan um La Manche wird favorisiert. Er beinhaltet eine Luft- und eine Wasser-Operation gegen die Kanalinseln, Landungen östlich und westlich des La Manche Departments voraussichtlich bei Isigny (11' östlich von Carentan an der östlichen Seite von Cherbourg).“ 120 deutsche Agenten wurden von den Briten vor der Invasion "umgedreht" und versorgten die Deutschen mit falschen Nachrichten von der Invasion, die in Norwegen oder am Kanal stattfinden sollte und ausgerechnet Fidrmuc aus Lissabon erfand den ganzen Operationsplan von "Overlord"! Das war übrigens auch der Auslöser für den Plan Fidrmuc zu entführen oder zu töten.
Die Kanalinseln wurden von der Invasionsflotte zwar nicht angegriffen und kapitulierten erst bei Kriegsende, aber der Rest stimmte auffällig.
Nicht auszudenken, was passiert währe, wenn die 15. Armee vom Pas-de-Calais ins vorhergesagte Landungsgebiet verlegt worden währe. 200.000 deutsche Soldaten statt 2.000. Wahrscheinlich währe das ganze Landungsgebiet ein einziger "Omaha Beach" geworden aber ohne Happy End für die Alliierten.
Wie schon erwähnt lieferten um die 120 Agenten Falschmeldungen über die Invasion, so dass diese Meldung ebenfalls unter "Falschmeldung" abgelegt wurde, zumal Fidrmuc Vorhersage so gar nicht mit Hitlers Vorstellungen vom Landeplatz übereinstimmte. Außerdem zeigte die Arbeit des englischen Geheimdienstes erste Wirkung. Fidrmuc Glaubwürdigkeit wurde in Frage gestellt.
Mitte März 1945 ging Fidrmuc nach Spanien. Dort lebte er nahe Barcelonas in Tamariu. 1946 wurde er verhaftet und nach Deutschland abgeschoben(repatriiert). Hier verhörten ihn die Amerikaner und stuften ihn als „one of the most successfull and potentially dangerous German agents of the war“ ("Einer der erfolgreichsten und potenziell gefährliche deutschen Agenten des Krieges") ein. Die Amerikaner schätzten sein Vermögen auf rund 3 Millionen Peseta oder über 300.000 Dollar.
Da Fidrmuc vorgab Agentenverbindung in den sich bildenden Ostblock zu haben, wurde er für die Amerikaner interessant. Der Kalte Krieg hatte begonnen und wohl nur deshalb wurde ein Auslieferungsantrag der Tschechoslowakei abgelehnt und Fidrmuc wieder freigelassen und er erhielt sogar eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom US Geheimdienst.
Wieder in Freiheit ging zurück nach Barcelona und diente sich dem spanischen Geheimdienst an. Offiziell schrieb er Kriminal- und Agentenromane und begann auch wieder journalistisch zu arbeiten. Er schrieb für die "Rhein-Neckar-Zeitung", "Die Zeit" und ab 1950 für den "Spiegel" als Spanienkorrespondent für monatlich 1.600 DM. Allerdings war er auch hier nicht unumstritten:"..., da man sich hin und wieder mit dem Material des Herrn Fidrmuc blamieren kann." Zu Rudolf Augstein hatte er ein inniges und freundschaftliches Verhältnis und nannte ihn "Don Rudolfo".
Im Alter von 60 Jahren starb Fidrmuc am 20. Okt. 1958 an Knochenkrebs.