Was war damals kurz nach dem Krieg? Wo waren sie alle, die Naziverbrecher? Die KZ-Wachen? Bis heute werden sie ja von der Justiz verfolgt und sogar als über 90 Jährige vor's Gericht gezerrt. Aber was war damals, vor 50, 60, 70 Jahren? Hier mal ein Beispiel:
Der ehemalige SS - Hauptscharführer Gerhard Martin Sommer wird in nächster Zeit die Früchte einer jahrelangen Hartnäckigkeit ernten können. Sommer, der schwerkriegsbeschädigt ist, lebte bis vor kurzem als "Junggeselle in stationärer Behandlung" im Bayreuther Versehrtenkrankenhaus. Er bezieht eine monatliche Rente von rund 300 Mark. In diesen Tagen wartet er nun darauf, eine Ausgleichszahlung von rund 10000 Mark kassieren zu können.
Der frühere SS-Mann Sommer ist in den letzten Tagen des Krieges schwer verwundet worden, so daß er sich noch heute nicht anders als im Rollstuhl fortbewegen kann: Das linke Bein ist bis zum Oberschenkel amputiert, sein linker Arm durch einen Gelenkbruch völlig versteift, und eine Bauchverletzung führte zu Verwachsungen und Wucherungen an den inneren Organen und zu einem Schließmuskelschaden.
Nun würde niemand dem ehemaligen SS-Führer den Rentenanspruch neiden, handelte es sich bei Sommer um einen jener SS-Männer, die während des Krieges nur ihre soldatische Pflicht erfüllten.
SS-Mann Sommer jedoch gehört zur Gruppe derer, die nach 1945 wegen ihrer Verbrechen als Wachsoldaten in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches in aller Welt Abscheu erweckten. Dem Sommer wirft die Staatsanwaltschaft Bayreuth 67 nachgewiesene Morde und mehrere hundert schwere Körperverletzungen mit Todesfolge vor.
Der ehemalige Buchenwald-Häftling Eugen Kogon nennt in seinem Buch "Der SS-Staat" den Hauptscharführer Sommer, der einst als Arrestaufseher gern schwarze Handschuhe trug, den "Henker von Buchenwald". "Die einfachste Todesart", schreibt Kogon, "die Sommer für einen Häftling wählte, war die, daß er dem Todeskandidaten einen Strick um den Hals legte und ihn eigenhändig am Heizkörper oder am Fensterkreuz aufhing. Viele Häftlinge wurden aber von Sommer auch einfach mit einem Dreikant-Eisen erschlagen. Ein Fall ist bekannt, wo er an beiden Schläfen des Opfers eine eiserne Klemme anlegte und sie solange zuschraubte, bis die Hirnschale durch den Druck zerquetscht wurde."
Die auf eigene Faust im Arrestbau von Buchenwald vorgenommenen "Hinrichtungen" waren sogar der SS-Justiz zuviel geworden. SS-Untersuchungsrichter Dr. Morgen, der mit den Ermittlungen gegen den Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald, Karl Koch, und dessen Frau Ilse betraut worden war, sperrte im August 1943 auch den KZ-Bewacher Sommer ein. Im Polizeigefängnis von Weimar hatte Untersuchungshäftling Sommer Muße, bis Anfang 1945 darauf zu warten, daß man ihm den Prozeß mache.
Im Dritten Reich fand dieser Prozeß dann aber nicht mehr statt. Sommer wurde in den letzten Kriegstagen einem der letzten Aufgebote aus SS-Häftlingen zugewiesen und fuhr in einem Panzer im Raum von Eisenach gegen die Amerikaner, bis ein abtrudelndes amerikanisches Flugzeug mit seiner ganzen Bombenlast neben Sommers Panzer aufschlug und den SS-Mann Sommer schwer verletzte.
Vier Tage Stadturlaub
Jahrelang lebte Sommer als Kriegsbeschädigter in bayrischen Versehrtenkrankenhäusern, bis ihn 1950 die Justizbehörden ausfindig machten. Fünf Jahre lang dauerten die Ermittlungen gegen Sommer, ehe im Juli 1955 das Bayreuther Landgericht Anklage erhob. Der Prozeß mußte jedoch bald abgebrochen werden. Amtsärztliche Gutachten bescheinigten Sommer, der während des Verfahrens immer wieder in Ohnmacht fiel, seine Verhandlungs- und Haftunfähigkeit.
Nun könnte Sommer von seinen Ärzten durch operative Eingriffe soweit hergerichtet werden, daß er verhandlungsfähig würde. Operationen sind aber nur mit Einwilligung des Patienten möglich. Der frühere KZ-Bewacher weiß indes recht gut, was ihn in einem derartigen Verfahren erwarten würde, und hat sich bisher geweigert, solche Operationen zu gestatten.
Da Sommer gerichtlich noch nicht zu fassen war, findet sich auch rechtlich keine Handhabe, ihm seine Ausgleichszahlung von 10000 Mark vorzuenthalten.
An dieser stattlichen Summe wird Sommer seine junge Frau partizipieren lassen können: Seit Juni dieses Jahres ist Sommer mit der Krankenschwester Bärbl Ulrich aus Bayreuth verheiratet. Die Trauung wurde in aller Stille vollzogen. Jedoch konnte es nicht verborgen bleiben, daß der sorgsam gegen die Umwelt abgeschirmte Patient vier Tage auf Stadturlaub geschickt worden war. So wurde die Frage aufgeworfen, ob ein heiratsfähiger Mann nicht auch verhandlungs- und haftfähig sein müsse. Bayreuths Oberstaatsanwalt Maier forderte aus diesem Grunde ein neues ärztliches Gutachten an.
Der Bayreuther Amtsarzt Freundorter zeigte sich jedoch sogleich bereit, dem jungen Ehemann erneut zu bescheinigen, daß er weiterhin nicht verhandlungs- und haftfähig ist.
Siecher KZ Bewacher