Immer wieder wird die Frage gestellt, wieso Italien zu Kriegsbeginn plötzlich die Seiten gewechselt hatte. Ich denke diese Frage hiermit ausreichend beantworten zu können: Wegen der Irredentisten! Irredentisten sind mitnichten Irre Zahnärzte, wie man vielleicht meinen könnte, sondern die Anhänger einer Ideologie, die auf die Zusammenführung möglichst aller Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem einheitlichen Staat hinzielt, in der Regel durch Annexion von Gebieten anderer Staaten. Im Besonderen ist damit oft der italienische Irredentismus gemeint. Das beanspruchte Gebiet im Ausland wird (die) „Irredenta“ genannt. Unter Irredentismus wird die panitalienische Bewegung im Zuge der 1861 vollzogenen Einigung Italiens nach dem Risorgimento verstanden, die darauf abzielte, alle Gebiete, die ganz oder teilweise mit einer italienischsprachigen Bevölkerung bewohnt waren, in den neuen italienischen Staat einzugliedern (insbes. das Trentino, Dalmatien und Istrien). Im Trentino wohnte eine kleine deutsche Bevölkerungsminderheit. Istrien und Dalmatien wurden vor allem auf dem Land mehrheitlich von Kroaten besiedelt und befanden sich noch unter der Herrschaft Österreich-Ungarns.
Als der 1. Weltkrieg ausbrach gehörte Italien vertraglich zum Dreibund aber entgegen allen vorher getroffenen Vereinbarungen erklärte Italien sich plötzlich für neutral. Das führte natürlich zu regen diplomatischen Tätigkeiten sowohl auf Seiten der Mittelmächte als auch der Entente. Diese Verhandlungen wurden unter dem Einfluss der Irredentisten geführt, denen die Entente auf Kosten Österreichs Ungarn die von ihnen erstrebten Gebiete Trentino, Dalmatien und Istrien versprach und Hoffnung auf weitere Gebietsanschlüsse machte. Daraufhin verliess Italien seine "neutrale" Position und schloss sich der Entente an. Vorerst gab es nur einen Geheimvertrag, in dem sich Italien verpflichtete einen Monat nach Unterzeichnung (26. April 1915 in London), dem Krieg an der Seite der Entent beizutreten. Am 23. Mai 1915 erklärte Italien Österreich den Krieg und am 24. Mai fielen in den Dolomiten die ersten Kanonenschüsse an dieser Front. Die sich dann anschliessenden Kämpfe hatten zwar wenig Einfluss auf das Gesamtgeschehen, banden aber wertvolle Kräfte der Mittelmächte, verbrauchten die ohnehin knappen Resourcen und kosteten einigen hunderttausend Soldaten auf beiden Seiten Leben und Gesundheit. Die Italiener führten am Insonzo (Beginn der 1. Schlacht am 23. Juni 1915) 11 erfolglose Offensiven gegen die deutschösterreichischen Truppen um einen Geländegewinn von nur 12 Kilometern zu erzielen. Allein dabei verloren sie über 300.000 Mann an Gefallenen und rund 700.000 Verwundete und wurden ihrerseits in nur einer einzigen Offensive (der12. Isonzoschlacht) in nur 6 Tagen um 150 Km bis zur Piave zurückgedrängt. Dabei verloren die Österreich Ungarischen Truppen lediglich 70.000 Mann und konnten nur durch den Einsatz von je 6 britischen und französischen Divisionen gestoppt werden. Vor der letzten Offensive hatte die italienische Armee 1,3 Millionen Mann unter Waffen, nach der Schlacht verfügte sie gerade noch über 500.000 einsatzbereite Soldaten. Die 12 Isonzoschlachten
Warum war Italien überhaupt im Dreibund? Hatte sich doch gerade erst unter Schmerzen auch von Österreich getrennt - nicht gerade ein natürlicher Verbündeter.
Dazu habe ich einen äusserst interessanten Artikel gefunden, der genau diese Frage klärt:
Bismarcks Friedenspolitik und der italienische Verrat
Am 20. Mai 1882 nehmen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn Italien in den seit 1879 bestehenden Zweibund auf. Die Aufnahme erfolgt auf Wunsch und Initiative Italiens, das trotz seiner staatlichen Einigung bis dahin in Europa weitgehend politisch isoliert ist. Zahlreiche politische und diplomatische Misserfolge prägten bis dahin die italienische Politik. So konnte Italien seine territorialen Ansprüche auf dem Berliner Kongress von 1878 nicht durchsetzen, und musste drei Jahre später die Besetzung Tunesiens durch französisches Militär hinnehmen, obwohl sich dort bereits einige Tausend Italiener niedergelassen hatten, um eine Annektierung des Landes durch Italien vorzubereiten. Enttäuscht von der bis dahin eifrig umworbenen Regierung in Paris wendete sich der italienische König Umberto I. daraufhin von Frankreich ab und dem deutsch-österreichischem Zweibund zu.
Bis zum Ersten Weltkrieg wurde der Dreibund in seiner Funktion als friedenssicherndes Verteidigungsbündnis, vor allem gegen die beständige kriegerische Bedrohung seitens Frankreichs, aber auch gegen den russischen Expansionsdrang auf dem Balkan mehrfach erneuert. Nominell trug der Dreibund damit über 32 Jahre hinweg wesentlich zur Friedenssicherung in Europa bei, verlor jedoch seit der Jahrhundertwende durch das diplomatische Doppelspiel Italiens zunehmend an Bedeutung, dass bereits 1902 ein Geheimabkommen mit Frankreich geschlossen hatte. Endgültig zerbrach er in dem Moment, für den er eigentlich begründet wurde, nämlich zu Beginn des Ersten Weltkriegs, mit der Neutralitätserklärung Italiens, der nicht einmal ein Jahr später der Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Kriegsgegner folgte.
Frankreich und, nicht unwahrscheinlich, auch seine späteren Bündnispartner waren also bereits mehr als ein Jahrzehnt vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges über den späteren italienischen Seitenwechsel "zur größten Unzeit" informiert. Das Italien in den Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges weiter im Dreibund blieb und Bündnistreue heuchelte, war eher ein taktischer Vorteil. Hätte Italien den Dreibund bereits mit seiner Hinwendung zu Frankreich, also zur Jahrhundertwende verlassen, hätten sich Österreich-Ungarn und das Deutsches Reich möglicher Weise noch auf die neue, hierdurch äußerst bedrohliche Lage einstellen können. Der Seitenwechsel eines strategisch wichtigen Verbündeten während des ersten Kriegsjahres bedeutete jedoch militärisch wie psychologisch den größten Schaden. Die Frage, ob der Erste Weltkrieg ohne den Verrat Italiens nicht stattgefunden hätte, lässt sich kaum beantworten. Ohne Zweifel wäre die französisch-russische Politik ohne diese einschneidende Machtverschiebung aber weitaus weniger kriegsfreudig gewesen.
Kaiser Franz Joseph sagte zum Verrat der Italiener:
"Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt, ein Treuebruch, dessen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreich Italien und seinen Verbündeten begangen worden." Worin der Verrat der Verbündeten, wohl England und Franklreich, bestehen soll ist mir bei dieser Formulierung nicht klar. Schliesslich befand man sich mit ihnen ja schon längst im Krieg!